AllgemeinDemokratiebildung

Warum Politik wichtig ist – und wie sie ihre Entscheidungen trifft mit Dr. Michael Weigl

Warum Politik wichtig ist – und wie sie ihre Entscheidungen trifft mit Dr. Michael Weigl

Was ist eigentlich Politik und wozu brauchen wir sie? Das wollten wir, d. h. die 10. Klassen der Städtischen Wilhelm-Röntgen-Realschule München genau wissen und deshalb haben wir uns den Politikwissenschaftler Dr. Michael Weigl von der Universität Passau eingeladen, der uns ganz klar und höchst anschaulich erklären konnte, was Politik eigentlich soll.

Uns allen ist die Pauschalkritik an unseren Berufspolitikern vertraut. Sätze, wie „Die da oben machen nur, was sie wollen“, „Das geht alles viel zu langsam“ oder „Am Ende kommt sowieso nichts raus“ hören wir täglich. Dass es sich dabei um eine eklatante Fehleinschätzung handelt, wurde uns bei dem Vortrag von Dr. Michael Weigl schnell klar. Dr. Michael Weigl setzte bei der Lebenswirklichkeit der Schüler*innen an: Wie schwierig ist es bereits, im Klassenverband das Ziel einer  Abschlussfahrt ohne große Streitereien auszuhandeln, geschweige denn in der Politik  weitreichende Entscheidungen zu treffen und Gesetze zu verabschieden, die das ganze Volk betreffen. „Politik“ in kleinen und großen Gemeinschaften ist von unglaublicher Komplexität, es sind stets viele Akteure am Werk, es prallen eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen aufeinander, die in verschiedenen „Arenen“, d. h. Schauplätzen ausgehandelt werden, wobei eine Vielzahl von „Spielen“ unter Einhaltung bestimmter Spielregeln ausgetragen werden. Dr. Michael Weigl zeigte überzeugend und sehr verständlich auf, wie eine Lösung im kleinen Klassenverband, aber auch bundespolitisch für bestimmte Entscheidungen bzw. Gesetzesvorhaben gefunden werden kann. So kann man versuchen, mit Argumenten zu überzeugen, aber auch »package deals« abschließen (ich unterstütze dich heute bei Punkt A, wenn du mir morgen bei Punkt B deine Stimme gibst), um sein Ziel zu erreichen. Ebenso könnte man alles daran setzen, um die Unterstützung von Dritten zu gewinnen, man könnte Interessen zusammenführen und bündeln, nach alternativen Lösungen suchen oder last but not least einen langfristigen Ausgleich von Interessen anstreben. Egal, ob es sich um wichtige oder weniger wichtige Entscheidungen handelt, egal, in welcher Angelegenheit und mit welchen Teilnehmern, egal, ob in der Klasse oder im Bundestag, es sind immer genau diese kommunikativen Verhandlungsprozesse, die zielführend eingesetzt werden müssen, um einen Kompromiss oder eine Lösung zu finden bzw. ein Gesetz zu verabschieden.

Wir staunten nicht schlecht, als uns Dr. Michael Weigl vor Augen führte, mit wie vielen Gesetzen wir bereits früh morgens beim Aufstehen konfrontiert werden, bevor wir uns überhaupt an den Frühstückstisch setzen oder gar in der Schule ankommen. Als Schüler*in steht man in aller Herrgottsfrühe wegen Art. 35 BayEUG auf, in dem die Schulpflicht geregelt ist, wenn wir das Wasser zum Duschen und Zähneputzen aufdrehen, schwappt uns schon wieder eine Vielzahl von Verordnungen und Gesetzen entgegen, ebenso, wenn wir das Licht einschalten, die Heizung aufdrehen oder das Handy laden, Strom und Gas unterliegen vielen gesetzlichen Regelungen. Weiter geht es im Bad, wenn wir zu unseren Kosmetika greifen (gesetzliche Regelungen z. B. zu Tierversuchen) oder uns anziehen (z. B. Lieferkettengesetz). Wir leben in einem ganzen Labyrinth von gesetzlichen Regelungen und Verordnungen, die für den Normalbürger kaum noch zu durchschauen sind. Wie groß muss eigentlich der Idealismus, das „dicke Fell“ und das Durchhaltevermögen von Politkern sein, einen riesigen und fast unbezwingbar erscheinenden Hindernisparcours auf sich zu nehmen, nur um letztendlich ein kleines oder mit viel Glück ein großes Gesetz zum Wohl des Volkes auf den Weg zu bringen. Als Bürger sieht man nur das Ergebnis, nicht aber die zeit- und nervenaufreibenden Verhandlungsprozesse mit allen in irgendeiner Form involvierten Personen, Verbänden, Interessensgruppen, Fraktionsmitgliedern, Oppositionspolitkern etc. Unsere Abgeordneten verstehen sich nach Art. 38 GG als „Vertreter des ganzen Volkes…“, d. h. sie verfolgen nicht ihre eigenen Interessen, sondern das Interesse des Volkes. Hier klingt der große französische Schriftsteller und Philosoph Jean Jacques Rousseau an, der klar „la volonté générale“ (Volkswille) von „la volonté de tous“ (Eigenwille) abgrenzte. Große Staatsdenker wie Thomas Hobbes und John Locke haben bereits im 16./17. Jahrhundert entscheidende Grundlagen für unser Machtgefüge in der Politik gelegt. Im 20. Jahrhundert waren es vor allem die Intellektuellen Ernst Fraenkel und Hannah Arendt, die beide in die USA emigrieren mussten, die sich mit den totalitären Strukturen des NS-Staats auseinandergesetzt haben und fundamentale Werke zum Funktionieren einer freiheitlichen und friedlichen Demokratie, zum Sinn von Politik ganz allgemein hinterlassen haben.

Ausgehend von dem einfachen Satz „Politik meint, das Zusammenleben von Menschen so zu regeln, dass Konflikte ohne Gewalt gelöst werden.“ schlug Dr. Michael Weigl den abschließenden Bogen zu dem finalen Satz: „Politik meint, das Zusammenleben von Menschen mit Hilfe von Kompromissen, die in komplexen, wertebasierten und ergebnisoffenen Aushandlungsprozessen gleichberechtigter Interessen und Akteure gefunden werden, so zu regeln, dass Konflikte ohne Gewalt gelöst werden“.

Selten waren sich die Schüler*innen nach einem Vortrag so einig in ihrem Urteil wie dieses Mal. Emil, Lena und Defne aus der Klasse 10 c waren begeistert: „Welch ein prägnanter Sprachstil, was für eine tolle Präsentation, der Vortrag war so anschaulich und wahnsinnig interessant!“ Zehra und Mehdi aus der 10 c waren vor allem von den Antworten von Dr. Michael Weigl angetan: „Er hat auf jede Frage ganz offen und ehrlich geantwortet, vor allem auch sehr sachbezogen, er schweifte nicht weit ab, wir haben viel von seiner Tätigkeit als Politikwissenschaftler erfahren, das war sehr interessant.“ Dominik aus der Klasse 10 b gefiel der dialogische Ansatz des Vortrags: „Dr. Michael Weigl hat uns mit seinen Fragen in seinen Vortrag mit einbezogen, dadurch war ständig unsere Aufmerksamkeit geweckt, wir mussten mitdenken, er hat mit uns geredet, so war es überhaupt nicht langweilig. Ein sehr schöner Vortrag!“ Hewia und Aylin aus der 10 b waren von der Persönlichkeit des Politikwissenschaftlers beeindruckt: „Er war so sympathisch, so normal, sein Vortrag und er selbst haben uns richtig gut gefallen.“ Vinzenz und Jonas aus der 10 a betonten noch: „Wir hätten nie gedacht, dass eine Entscheidungsfindung so komplex sein kann, als Normalbürger sieht und weiß man einfach nicht, wie schwierig Politik ist.“

Als verantwortliche Sozialkundelehrerin bin ich stolz auf meine Schüler*innen, dass sie den Wert dieses Vortrages so unisono erkannt und zum Ausdruck gebracht haben. Mit diesen Schüler*innen kann man in politische Diskussionen gehen, sie sind begeisterungsfähig und denken kritisch mit. Einfach schön, dass wir alle zusammen bei diesem interessanten und lebensnahen Vortrag von Dr. Michael Weigl richtig viel lernen konnten.

Maria Gerteisz, M.A.

StRin (RS)