Demokratiecafé
Das Demokratiecafé an der WRR - eine kleine Pflanze, die weiter wachsen und gedeihen möchte
„Eigentlich ist die Welt schön. Eigentlich und für viele von uns. Aber nicht überall, nicht für alle und nicht zu allen Zeiten. Auch ihr wisst sicher von den Schattenseiten, von Umweltzerstörung, Rassismus, Armut, Angst, Gewalt und dem Gegenteil von Freiheit. Das alles gibt es – doch zum Glück gibt es auch Kinder und Jugendliche in aller Welt, die sich damit nicht abfinden, sondern etwas tun. Ihr Mut ermutigt, ihre Hoffnung macht Hoffnung, ihr Handeln ist zukunftsweisend.“ – Diese Zeilen stehen im Vorwort zu Ihrem Buch „Young Rebels. 25 Jugendliche, die die Welt verändern“, das Christine Knödler gemeinsam mit ihrem Sohn Benjamin geschrieben hat. Ein Buch mit Portraits von engagierten jungen Menschen, die mit ihrer Unerschrockenheit und Begeisterung, mit ihrem Einsatz für Solidarität und Toleranz anstecken, die den „moralischen Kompass“ für eine Welt liefern, die eigentlich schön sein könnte, wenn es mehr gäbe, die diese demokratischen Werte unterstützen und leben würden.
Das Engagement für eine bessere Welt hat mich schon immer begeistert und in meiner Aufgabe als PuG – Lehrerin versuche ich stets, die Blicke der Schüler für Ihr konkretes Umfeld, aber auch für die Welt im Ganzen, für den Zusammenhang von Freiheit und Moral, für unsere Demokratie und ihre Werte kritisch zu schärfen. Demokratie beginnt im Kleinen, warum also sollte dieser wertvolle kleine Funke nicht auf unsere Schüler überspringen können? Auf einer Tagung an der Akademie für Politische Bildung lernte ich Dr. Robert Jende von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München kennen. Er hat mit seinen Kollegen viel über die Zukunft der Demokratie nachgedacht, über Partizipationsmöglichkeiten, über „Lust und Frust politischer Teilhabe“. Mit dem „Demokratiecafé“ entstand eine Idee, wie man gemeinsam sein eigenes Wohnviertel aktiv zum Besseren um- und mitgestalten könnte. Zunächst startete dieses Projekt in der Erwachsenenwelt, ich dachte mir, warum nicht auch in der Schule und Dr. Robert Jende bot mir seine Unterstützung an.
Das Gründungstreffen sollte am Mittwoch, den 21. Februar 2024 von 16 von 19 Uhr in der Schule stattfinden, ich schrieb dazu einen Elternbrief, machte eine Durchsage und wartete auf das Schülerecho. Das war zunächst sehr ernüchternd. Lag es daran, dass das Demokratiecafé außerhalb des Unterrichts stattfinden sollte oder interessiert unsere Schüler unsere wertvolle Demokratie mit all den schützenswerten Bürger- und Menschenrechten, sprich unseren Grundrechten gar nicht? Das durfte auf keinen Fall sein, das begriffen ich und die interessierten Schüler, die kamen als Herausforderung. Wir ließen uns nicht entmutigen und versuchten als kleine Gruppe mit einer stets variierenden Teilnehmerzahl etwas Konstruktives auf die Beine zu stellen.
Bereits in der ersten Sitzung stellte sich heraus, dass die teilnehmenden Schüler mit dem „Miteinander“ an der Schule haderten, aber auch in der Gesellschaft und der Politik im Allgemeinen. Respektlosigkeit, Aggressivität, verbale Verletzungen und Mobbing stören das Zusammenleben aller vehement, dagegen wollten wir als erstes an unserer Schule etwas tun. Wir dachten lange darüber nach, wie wir das Zusammenleben an der Schule verbessern könnten, blickten dabei aber auch über den „Tellerrand Schule“ hinaus. Wir planten neben großen Plakatwänden eine Zusammenarbeit mit NEBourhoods in Neuperlach, vielleicht sogar einen Beitrag im Bayerischen Rundfunk. Wir wollten ein eigenes Logo für unser kleines „Thinktank“ kreieren und auch einen neuen, prägnanten Namen für uns suchen. Wir hatten viele Ideen, konnten aber aus zeitlichen Gründen vieles nicht mehr umsetzen.
Was wir noch schafften und was uns sehr viel Spaß gemacht hat, waren unsere Exkursionen an den Wochenenden, unsere „Infotour“ durch die politischen Institutionen auf städtischer, Landes- und Europäischer Ebene. So waren wir am Samstag, den 04. Mai 2024 beim Tag der offenen Tür im Bayerischen Landtag, wo wir tatsächlich persönlich von Ilse Aigner, Ludwig Hartmann und Wolfgang Krebs mit einem Lebkuchenherz begrüßt wurden. Am Sonntag, den 5. Mai 2024 lernten wir unter anderem in der wunderschönen Gondel, dem „Europarad“ im Werksviertel, alles Wissenswerte zur EU und der anstehenden Europawahl. Wir trafen Persönlichkeiten wie Birgit Boeser von der Europäischen Akademie Bayern und Dr. Andreas Kalina von der Akademie für politische Bildung in Tutzing, beide quasi Synonyme für Europa. Ein unvergessliches Highlight war auch der Tag des offenen Rathauses, der am Samstag, den 11. Mai 2024 auf dem Programm stand. Dort trafen wir viele sympathische und redefreudige Politiker aller im Rathaus vertretenen Parteien, aber auch Leckeres für das leibliche Wohl war geboten. Wir präferierten alle die kostenlosen, frisch zubereiteten, heißen crêpes im Fraktionssaal der SPD!
Warum hat sich diese kleine, echt fantastische Gruppe Zeit für das Demokratiecafé genommen, warum haben diese Schüler aus den Jahrgangsstufen, 5, 7, 9 und 10 mitgemacht? Ihre Antworten lauten – stichpunktartig aufgelistet – wie folgt:
Wir wollen etwas bewegen, uns einmischen, in der Schule, aber auch darüber hinaus.
Schülermeinungen sollen von Bedeutung sein und vielleicht in die Politik einfließen.
Wir haben die Möglichkeit, uns weiterzubilden und unseren Horizont zu erweitern.
Die aktuelle politische Situation ist besorgniserregend: Demokratie ist nicht selbstverständlich, soziale Medien, wie TicToc werden von FakeNews und Rechtspopulisten dominiert.
Unsere Treffen finden in einer lockeren Atmosphäre statt, wir können ganz offen, frei und auf Augenhöhe anregende Diskussionen mit anderen politisch interessierten Schülern aus verschiedenen Jahrgangsstufen führen.
Ein Jahr PuG – Unterricht in der Realschule ist viel zu wenig, vor allem wenn man vielleicht bald nicht mehr nur bei den Wahlen zum EU-Parlament mit 16 wählen gehen darf, sondern auch beim Bundestag, Landtag und bei den Kommunalwahlen. Wir wollen wählen, unsere Stimme abgeben, aber wir wollen unbedingt darüber in der Schule umfassend informiert werden!
Wir treffen uns als gleichberechtigte Partner, das Argument jedes einzelnen zählt, es existieren keine Hierarchien, wir arbeiten in einer echt basisdemokratischen Atmosphäre zusammen.
Schön ist die völlig entspannte Gesprächsatmosphäre, eine Art Wohlfühl-Stimmung, wodurch Vertrauen entsteht und auch die Lust, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.
Ein Höhepunkt unseres bisherigen Bestehens war, dass wir an der 75 – Jahr – Feier der Stadt München zum Grundgesetz (GG) mitwirken durften. Dazu haben viele an den Workshops „Das GG intersektional“ mit der bpb (= Bundeszentrale für politische Bildung) und dem PI (=Pädagogisches Institut) teilgenommen; hier wurden Postkarten mit Texten zum GG entworfen und gedruckt. Beim Bühnenprogramm nach dem Walk of Democracy, der von vielen Münchner Schulen gestaltet wurde, durften wir dann in einem Interview auf dem Rindermarkt unser Demokratiecafé präsentieren. Das war ein sehr schönes Gefühl, es war eine hohe und wichtige Wertschätzung, die uns entgegengebracht wurde, das solch ein freiwilliges Engagement in der Tat benötigt und am Leben hält. Sobald wir die gedruckten Postkarten in den Händen halten und der Dokumentarfilm zu unserem Auftritt fertiggestellt ist, werden wir alles bei passender Gelegenheit in der Schule zeigen.
Das Projekt „Demokratiecafé“ ist auf Jahre angelegt und braucht, wenn es überleben soll, die Unterstützung vieler Schüler aus allen Jahrgangsstufen. Freiwilliges Engagement ist nicht bequem, macht aber bei uns Spaß, weil wir in unserer Demokratie das eigene Leben nicht riskieren müssen. Wir leben in Freiheit. Das ist keineswegs selbstverständlich. Dies zu erkennen und dafür etwas zu tun, sich selbst einen kleinen Ruck geben, anfangen, sich für Dinge zu interessieren, von denen man noch gar nicht weiß, dass sie einen interessieren könnten, neugierig und offen sein, miteinander ins Gespräch kommen wollen, alles, was uns gefällt oder stört anzusprechen, ja, all das wäre wichtig, damit wir das Wertvolle, das wir in Schule, Gesellschaft und Politik haben, erhalten und alles andere, was noch nicht perfekt ist, auf einen besseren Weg bringen können. Im kleinen Umfeld und in jungen Jahren kann man bereits vieles bewirken, deshalb ist Partizipation an der Schule so unglaublich wichtig. Nur wenn wir diesen Ort selbst mitgestalten, können wir den Rahmen schaffen, in dem wir tagtäglich leben und viel Zeit verbringen wollen. Denken und Handeln sind fundamental für unser Zusammenleben, beides kann man lernen. Hannah Arendt hat dies wunderschön in ihrem Buch „vita activa“ beschrieben, der Sinn des Denkens bestehe demnach zum einen darin, den Menschen auf das Handeln vorzubereiten und damit seine Zukunft zu bestimmen. Zum anderen diene es der Ausbildung des Gewissens, das den Menschen in die Lage versetzt, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Freiheit und Moral gehen Hand in Hand in unserem praktischen Leben – ja, hier kann und muss man sofort an Kant denken!
Liebe Schüler, lasst uns gemeinsam nachdenken, diskutieren und handeln, denn nur so können wir unser Miteinander in der Schule und darüber hinaus optimistisch, wegweisend und konstruktiv für eine lebenswerte, demokratische Zukunft gestalten. Ohne euch und euren Einsatz geht es nicht! Das Demokratiecafé braucht euch und vice versa – auch in der unterrichtsfreien Zeit! Lassen wir diese kleine Pflanze weiterleben, sie kann uns soviel bieten! Wenn genügend Interesse von eurer Seite gegeben ist, könnten wir ein Pilotprojekt für alle Schulen starten – Das wäre doch ein richtiges Highlight für das kommende Schuljahr!
Maria Gerteisz, M.A.
Lehrerin für PuG und Französisch